Fachartikel
Anleitung für Fachkräfte
Ursachen, Modelle & Interventionen
Ein Beispiel: Ein 15-jähriger Schüler steht kurz vor dem Abschluss der neunten Schulstufe, aber er schafft es nicht mehr, die Schule zu betreten. Die Angst lähmt ihn, Panikattacken und körperliche Symptome bestimmen seine Tage. Eltern, Lehrer und Fachkräfte sind ratlos.
Schulverweigerung ist in solchen Fällen keine Faulheit, sondern ein Ausdruck von Überforderung. Angststörungen gehören heute zu den häufigsten psychischen Belastungen bei Jugendlichen. Fachkräfte stehen dabei vor einer schwierigen Frage: Soll man zuerst therapieren oder den Schulabschluss retten?
Warum Bindung hier besonders ist
Angststörungen bei Jugendlichen entstehen häufig aus einer Kombination von biologischer Vulnerabilität, Entwicklungsstress und schulischem Leistungsdruck (In-Albon 2011). Das Gehirn befindet sich im Alarmmodus – Lernen, Konzentration und soziale Interaktion werden blockiert.
Laut Perry & Szalavitz (2021) ist ein überaktives Stresssystem ein zentraler Faktor: Wenn der Körper dauerhaft in Alarmbereitschaft ist, kann kein kognitives Lernen stattfinden. In der Praxis bedeutet das: Erst Sicherheit, dann Schule.
Großmann (2018) betont in der Notfallpsychologie, dass Stabilisierung und Beziehungssicherheit Vorrang vor kognitiver Leistung haben müssen. Ohne ein Gefühl von Kontrolle wird jeder Versuch, Druck zu machen, die Symptome verstärken.
für die psychologische und pädagogische Arbeit – inkl. Durchführung, Auswertung, Interpretation, Cutoffs, Subskalen und Quellen.
Praxisanleitung & Tools
Schritt 1 – Angst erkennen, nicht verurteilen
Beobachte genau: Sind es körperliche Beschwerden (z. B. Bauchweh, Zittern, Übelkeit), soziale Ängste oder Panikattacken? Sprich offen über Angst – benenne sie, ohne sie zu bewerten.
Schritt 2 – Sicherheit und Tagesstruktur aufbauen
Auch wenn Schule gerade nicht geht: Der Tag braucht Struktur. Feste Aufstehzeiten, Mahlzeiten, kleine Lern- oder Bewegungsphasen schaffen Stabilität.
Schritt 3 – Kooperation statt Zwang
Koordiniere dich mit Schule und Therapeut:innen. Ziel: ein stufenweiser Wiedereinstieg, z. B. zunächst Hausaufgaben zuhause, dann kurze Schulbesuche mit Begleitung.
Schritt 4 – Externe Bildungsoptionen prüfen
Hausunterricht mit Schulaufsicht
Digitale Lernprogramme
Produktionsschule oder integrative Berufsvorbereitung
Tagesplaner
Hier kannst du den Tagesplaner für Jugendliche mit Schulangst herunterladen
Arbeit mit den Eltern
Eltern stehen oft zwischen Angst, Druck und Schuld. Fachkräfte sollten diese Ambivalenz anerkennen.
Do’s & Don’ts im Gespräch:
Do’s:
✓ Emotionale Entlastung anbieten („Sie tun gerade alles, was möglich ist.“)
✓ Kleine Fortschritte betonen
✓ Eltern ermutigen, Grenzen liebevoll, aber konsequent zu halten
Don’ts:
- ✗ Schuldzuweisungen („Er muss sich halt zusammenreißen.“)
- ✗ Leistungsdruck („Nur noch 7 Monate, das schaffen wir schon.“)
- ✗ Angst verstärken durch ständige Kontrolle
Title
Schulangst und Schulphobie: Wege zum Verständnis und zur Bewältigung Hilfen für Eltern und Lehrer, von von Hans Hopf (Autor) 2018. Brandes & Apsel Verlag
Fazit
Schulverweigerung aufgrund von Angst ist ein komplexes Zusammenspiel von Emotion, Körper und Systemdruck.
Die Priorität liegt immer auf Stabilisierung – erst wenn ein Jugendlicher Sicherheit erlebt, kann Lernen wieder gelingen.
Fachkräfte können viel bewirken, wenn sie Eltern und Schulen in einem gemeinsamen Prozess begleiten:
- Sicherheit schaffen
- Druck reduzieren
- kleine Schritte loben
- Perspektiven offenhalten
👉 Hier kannst du den kostenlosen Skala-Fragebogen zur „Einschätzung von Schulangst bei Jugendlichen“ für die psychologische und pädagogische Arbeit als PDF herunterladen → [Freebie-Link]
Zusammenfassend
Kernaussagen
→ Sicherheit geht vor Leistung.
→ Angst ist kein Trotz, sondern ein Schutzmechanismus.
→ Kleine Schritte sind nachhaltiger als Druck.
5 Praxis-Insights
+ Tagesstruktur schafft Halt.
+ Kooperation mit Schule entlastet Eltern.
+ Ruhige Kommunikation senkt Stresslevel.
+ Stufenweise Reintegration ist erfolgversprechend.
+ Eltern brauchen genauso Unterstützung wie Jugendliche.
3 Do’s für Fachkräfte
✓ Verständnis zeigen – nicht fordern.
✓ Ressourcen betonen.
✓ Grenzen liebevoll halten.
2 Warnsignale
⚠️ Panikattacken oder körperliche Symptome verschlimmern sich.
⚠️ Rückzug oder Isolation nimmt zu.
Quellen
Juen, B., & Kratzer, L. (2023). Notfallpsychologie in der Praxis. Springer. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-66012-2
- Gerngroß Johanna (2018) Notfallpsychologie und psychologisches Krisenmanagement: Hilfe und Beratung auf individueller und organisationeller Ebene
In-Albon Tina (2011). Kinder und Jugendliche mit Angststörungen. Kohlhammer.
Siegel, D., & Bryson, T. (2011). The Whole-Brain Child. Random House.
Brisch, K. H. (2016). Bindung und Trauma. Klett-Cotta.
- Perry, B. (2021): What Happened to You?: Conversations on Trauma, Resilience, and Healing
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